HYPERMOBILES EHLERS-DANLOS SYNDROM (hEDS) vs. HYPERMOBILITY SPECTRUM DISORDERS (HDS)
Hypermobiles Ehlers-Danlos Syndrom (hEDS) vs. Hypermobility Spectrum Disorders (HSD): Was ist der Unterschied?
Das Konzept der Syndrome mit Hypermobilität der Gelenke (JH) wurde insgesamt grundsätzlich überarbeitet. Um dem Kontinuum der JH Rechnung zu tragen, wurde der Begriff Hypermobility Spectrum Disorder (HSD) eingeführt. Unter dessen Definition stehen an einem Ende Patienten mit asymptomatischer JH (jemand, der abgesehen von der Überbeweglichkeit der Gelenke keine Symptome hat) und am anderen Ende das hypermobile EDS (hEDS). Dieses Spektrum trägt dem Aspekt Rechnung, dass sich diese Erkrankungen schwerwiegend auf das Leben der Betroffenen auswirken könnten, egal, ob dies eine direkte Folge der JH ist oder damit in Zusammenhang steht.
Hypermobiles Ehlers-Danlos Syndrom
Während das hEDS das einzige EDS ohne bestätigte Ursache bleibt, wurden die Diagnosekriterien für hEDS im Vergleich zur Beschreibung und Einordnung von 1997 in Villefranche durch einen internationalen Konsens enger gefasst.
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Hypermobility Spectrum Disorder (HSD) und hEDS besteht in den strengeren Kriterien für hEDS gegenüber HSD.
Wenn bei jemandem vor den 2017 herausgegebenen Kriterien ein hEDS diagnostiziert wurde, besteht kein Grund, eine neue Diagnose zu stellen. Ausnahme ist, dass die Person sich für die Teilnahme an neuen Forschungsprojekten entscheidet oder aus einem anderen Grund neuerlich untersucht werden muss.
HSD vs. hEDS: Die neuen Diagnosekriterien
Die Behandlung ist wichtiger als die Bezeichnung.
- Nach den 2017 herausgegeben Kriterien sollten bei HSD- oder hEDS-Diagnosen zuerst alle anderen Erklärungen für die Symptome abgeklärt werden. Damit soll sichergestellt werden, dass kein anderer EDS-Subtyp, keine Verletzung oder keine andere Bindegewebsstörung, wie beispielsweise ein Marfan Syndrom, zutreffender sind.
- Daraufhin werden die Symptome und die Familienanamnese mit den neuen Kriterien für hEDS (siehe Tabelle unten) verglichen.
- Wenn Sie nicht mit den neuen Kriterien übereinstimmen, überprüfen die Ärzte die neuen Kriterien für HSD.
- Die Abgrenzung des HSD-Subtyps hängt von drei Faktoren ab:
- Welche Gelenke sind hypermobil;
- Beighton-Score;
- Vorliegen anderer Beschwerden im Bewegungsapparat.
Wichtig ist: Die richtige Diagnose und Behandlung zu erhalten, nicht die Bezeichnung.
2017 HERAUSGEGEBENE KRITERIEN FÜR HYPERMOBILES EDS | 1997 HERAUS-GEGEBENE KRITERIEN FÜR EDS DES HYPERMOBILITÄTS-TYPS |
Für die klinische Diagnose von hEDS müssen zeitgleich die Kriterien 1 UND 2 UND 3 erfüllt sein.
Kriterium 1: Generalisierte Hypermobilität der Gelenke (GJH) • Beighton-Score bei hEDS: ≥6 bei präpubertären Kindern und Jugendlichen ≥5 bei pubertären Personen sowie Personen im Alter von bis zu 50 Jahren ≥4 bei Personen >50 Jahren.
Bei Personen mit erworbenen Gelenkseinschränkungen (frühere Operation, Rollstuhl, Amputationen etc.), welche sich auf die Berechnung des Beighton-Scores auswirken, kann die Bewertung der GJH frühere Informationen einschließen, die anhand eines Fragebogens mit 5 Punkten (5PQ) erhoben werden; liegt der Beighton-Score 1 Punkt unter dem alters- und geschlechtsspezifischen Grenzwert UND ist der 5PQ „positiv“ (= mindestens 2 positive Antworten), kann die Diagnose einer GJH gestellt werden. [Hinweise und Einstufungen entsprechend diesem Kriterium in „The 2017 International Classification of the Ehlers-Danlos Syndromes“, Malfait et al.] Kriterium 2: Außerdem MÜSSEN mindestens zwei der folgenden Merkmale A, B und C erfüllt sein (z.B.: A und B, A und C, B und C, A und B und C). Merkmal A: systemische Erscheinungsbilder einer eher generalisierten Bindegewebsstörung (insgesamt fünf Punkte müssen zutreffen) 1. Ungewöhnlich weiche oder seidige Haut 2. Leichte Überdehnbarkeit der Haut 3. Ungeklärte Dehnungsstreifen, wie Striae distensae oder Striae rubrae, am Rücken, Leisten, Oberschenkeln, Busen und/oder Bauch bei Jugendlichen, Männern oder präpubertären Frauen ohne erhebliche/n frühere/n Zunahme bzw. Verlust von Körperfett oder Körpergewicht 4. Piezogene Papeln (druckbedingte Fettgewebsvorwölbungen) an beiden Fersen 5. Wiederkehrende oder multiple abdominale Hernie(n) (Bruch, z.B. Nabelbruch, Leistenbruch, Schenkelbruch) 6. Atrophe (eingesunkene) Narben an mindestens zwei Stellen ohne Bildung von beinahe pergamentartigen und/oder hämosideroseartigen (gelblichen) Narben, wie sie beim klassischen EDS auftreten 7. Beckenboden-, Mastdarm- und/oder Gebärmutterprolaps (Vorfall und/oder Senkung) bei Kindern, Männern oder Frauen, die noch kein Kind geboren haben, ohne Vorgeschichte von krankhaftem Übergewicht oder anderen bekannten prädisponierenden Faktoren 8. Engstand der Zähne und hoher oder enger Gaumen 9. Spinnenfingrigkeit, wie durch Vorliegen mindestens eines der nachstehenden Punkte definiert: a. positives Handgelenkszeichen (Steinberg-Zeichen) an beiden Händen b. positives Daumenzeichen (Walker-Zeichen) an beiden Händen 10. Verhältnis zwischen Armspannweite und Körpergröße ≥1,05 11. Mitralklappenprolaps(Erkrankung der Herzklappe) – schwach oder stärker ausgeprägt, ausschließlich auf Grundlage der echokardiografischen Kriterien 12. Aortenwurzeldilatation mit einem Z-Wert >+2
Merkmal B: positive Familienanamnese bei mindestens einem Angehörigen ersten Grades (biologische/r Mutter, Vater, Bruder, Schwester), welche unabhängig voneinander die aktuellen Diagnosekriterien für hEDS erfüllen.
Merkmal C: Komplikationen im Bewegungsapparat (mindestens eine) 1. Schmerzen des Bewegungsapparats in mindestens zwei Gliedmaßen, die seit mindestens 3 Monaten täglich auftreten 2. Chronische, ausgebreitete Schmerzen seit ≥3 Monaten 3. Wiederkehrende Dislokationen eines Gelenks oder Gelenkinstabilität, ohne auslösendes Trauma (a oder b) a. Mindestens drei atraumatische Dislokationen (Ausrenkungen) desselben Gelenks oder mindestens zwei atraumatische Dislokationen von zwei verschiedenen Gelenken zu verschiedenen Zeitpunkten b. Medizinische Bestätigung einer Gelenkinstabilität an mindestens 2 Stellen ohne Zusammenhang zu einem Trauma
Kriterium 3: Alle Anforderungen MÜSSEN erfüllt sein. 1. Abwesenheit einer ungewöhnlich leichten Verletzbarkeit der Haut, was andere EDS-Typen nahelegen würde. 2. Ausschluss einer anderen vererbbaren oder erworbenen Bindegewebsstörung, darunter rheumatologische Autoimmunerkrankungen. Bei Patienten mit einer erworbenen Bindegewebsstörung (z.B. Lupus, rheumatoide Arthritis etc.) müssen bei der zusätzlichen Diagnose von hEDS die Merkmale A und B von Kriterium 2 erfüllt sein. Das Merkmal C von Kriterium 2 (chronischer Schmerz und/oder Instabilität) spricht in diesem Fall nicht für die Diagnose eines hEDS. 3. Ausschluss alternativer Diagnosen, darunter eine Hypermobilität der Gelenke durch Hypotonie (Mangel an Muskelstärke und Muskelspannung) und/oder eine Bindegewebsschwäche. Zu den alternativen Diagnosen und Diagnosekategorien zählen unter anderem neuromuskuläre Krankheiten (z.B. myopathisches EDS, Bethlem-Myopathie), andere erbliche Bindegewebsstörungen (z.B. andere EDS-Typen, Loeys-Dietz-Syndrom, Marfan-Syndrom) und Skelettdysplasien (Störungen des Knochen- und Knorpelgewebes, z.B. Osteogenesis imperfecta). Diese Punkte können anhand der Krankengeschichte, körperlichen Untersuchung und/oder molekularer Gentests, wenn indiziert, ausgeschlossen werden. Allgemeine Anmerkung: • Auf hEDS treffen viele weitere Merkmale zu, allerdings sind die meisten nicht ausreichend spezifisch oder sensibel, um zum gegenwärtigen Zeitpunkt in die formellen Diagnosekriterien aufgenommen zu werden (siehe „Hypermobile Ehlers-Danlos Syndrome (a.k.a. EhlersDanlos Syndrome Type III and Ehlers-Danlos syndrome hypermobility type): Clinical Description, and Natural History“ von Tinkle et al. [LINK]). • Dazu zählen unter anderem Schlafstörungen, Erschöpfung, posturale orthostatische Tachykardie, funktionelle gastrointestinale Störungen, Dysautonomie, Angstzustände und Depression. Diese anderen systemischen Erscheinungsformen können belastender als die gelenksbezogenen Symptome sein, beeinträchtigen häufig die Funktionalität und Lebensqualität und sollten stets im Rahmen von klinischen Besuchen erfragt werden. • Wenngleich sie nicht Bestandteil der Diagnosekriterien sind, so gibt das Vorliegen dieser systemischen Erscheinungsformen Anlass, hEDS bei der Differentialdiagnose in Betracht zu ziehen.
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Hauptkriterien:
· Hautbeteiligung (Überdehnbar-keit und/oder weiche, seidige Haut) · Generalisierte Hypermobilität der Gelenke Nebenkriterien: · Wiederkehrende Ausrenkungen von Gelenken · Chronische Schmerzen in Gelenken/Gliedmaßen · Positive Familienanamnese Das Vorliegen eines oder beider Hauptkriterien ist für die klinische Diagnose notwendig. Das Vorliegen mindestens eines Nebenkriteriums trägt zur Diagnose bei, allerdings ist ihr Vorliegen ohne Präsenz eines Hauptkriteriums nicht ausreichend, um die Diagnose stellen zu können. |
Spektrum der Hypermobilität der Gelenke | |||
Typ | Beighton-Score | Beteiligung des Bewegungsapparats* | Anmerkungen |
Asymptomatische generalisierte JH | Positiv | Liegt nicht vor | |
Asymptomatische periphere JH | Für gewöhnlich negativ | Liegt nicht vor | JH für gewöhnlich auf Hände und/oder Füße beschränkt |
Asymptomatische lokale JH | Negativ | Liegt nicht vor | JH beschränkt auf einzelne Gelenke oder Körperteile |
Generalisiertes HSD | Positiv | Liegt vor | |
Peripheres HSD | Für gewöhnlich negativ | Liegt vor | JH für gewöhnlich auf Hände und/oder Füße beschränkt |
Lokales HSD | Negativ | Liegt vor | JH beschränkt auf einzelne Gelenke oder Körperteile |
Früheres HSD | Negativ | Liegt vor | Frühere JH |
hEDS | Positiv | Möglich | |
Die Beteiligung des Bewegungsapparats umfasst Trauma (Mikrotrauma und Makrotrauma), chronische Schmerzen, gestörte Propriozeption (Wahrnehmung der Körperbewegung und -lage im Raum oder der Lage einzelner Körperteile zueinander) und andere Merkmale wie Plattfüße, Fehlstellungen der Knochen im Ellbogen und großen Zeh, leichte bis mittelschwere Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung), Kyphose (Fehlstellung der Wirbelsäule -> Rundrücken) der oberen Wirbelsäule, Lordose (Fehlstellung der Wirbelsäule -> Hohlkreuz) der unteren Wirbelsäule. |
Begriffsbestimmungen:
Arachnodaktylie (Spinnenfingrigkeit): Die Finger und Zehen sind übermäßig lang und schlank im Vergleich zur Handfläche bzw. zum Fußrücken; die Daumen der Person neigen nach Innen zur Handfläche.
- hämosideroseartig: gelblich/bräunlich
- Hypotonie: abnormal niedriger Muskeltonus
- nicht geboren habend: eine Frau, die noch kein Kind geboren hat.
- piezogene Papeln: kleine, schmerzvolle, reversible Durchbrüche (Herniationen) des Fettgewebes durch die Faszien in die Dermis.
- pergamentartig: dünn oder trocken wie Papier; papierartig
- Prolaps: Vorfall oder Senkung eines Körperteils oder Organs
- Striae distensae: Dehnungsstreifen
- Striae rubrae: rötliche Längsstreifen
Quelle: Ehlers-Danlos Society
Wir bedanken uns für die freundliche Genehmigung der Ehlers-Danlos Society, die deutsche Fassung dieses Textes auf unserer Homepage veröffentlichen zu dürfen und bei unseren MWB-Ärzten für Ihre Unterstützung beim Korrekturlesen.
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