MCAS und EDS – Mehr als nur eine Begleiterkrankung?
Was ist das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS)?
Das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) ist eine noch sehr junge und oft übersehene Erkrankung, die in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.
Mastzellen sind spezialisierte Zellen des Immunsystems, die überall im Körper vorkommen – besonders dort, wo unser Organismus mit der Umwelt in Kontakt steht. Ihre Aufgabe ist es eigentlich, uns vor Krankheitserregern zu schützen und Entzündungsreaktionen zu steuern.
Beim Mastzellaktivierungssyndrom jedoch reagieren diese Zellen überempfindlich und setzen unkontrolliert Entzündungsstoffe frei. Das kann zu einer Vielzahl von Beschwerden führen: von Magen-Darm-Problemen, Atemwegsbeschwerden und Hautausschlägen, bis hin zu Schlafstörungen, chronischen Schmerzen und Kreislaufproblemen oder sogar anaphylaktischen Reaktionen. Die Symptome (wie z.B. auch Fatigue) sind oft unspezifisch und werden daher leicht übersehen oder anderen Erkrankungen zugeordnet.
Lange Zeit wurde MCAS im Zusammenhang mit einem Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS) als bloße „Begleiterkrankung“ betrachtet – und damit auch als etwas eher Nebensächliches abgetan. Doch aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass MCAS vielleicht eine viel größere Rolle spielen könnte als bisher angenommen.1
Warum ist das wichtig?
Ein besseres Verständnis des Zusammenhangs zwischen MCAS und EDS kann nicht nur zu einer gezielteren und wirksameren Behandlung führen, sondern eröffnet auch neue Perspektiven darauf, woher viele der Beschwerden bei EDS-Betroffenen stammen.
Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass MCAS nicht nur reine Begleiterkrankung, sondern möglicherweise auch ein mitverursachender Faktor für die Bindegewebsinstabilität ist, könnte das auch erklären, warum die Zahl der Diagnosen von hypermobilem EDS (hEDS) in den letzten Jahren so deutlich zugenommen hat.
Neben einer verbesserten Diagnostik und gesteigertem Bewusstsein für die seltene Erkrankung rücken dabei zunehmend auch Umweltfaktoren in den Fokus – etwa Schadstoffe, Infektionen oder chronischer Stress – die Mastzellen aktivieren und durch chronische Entzündungen im Körper damit eine zentrale Rolle im Krankheitsgeschehen spielen könnten.
1 Monaco A, Choi D, Uzun S, Maitland A, Riley B. Association of mast-cell-related conditions with hypermobile syndromes: a review of the literature. Immunol Res. 2022 Aug;70(4):419-431. doi: 10.1007/s12026-022-09280-1. Epub 2022 Apr 21. PMID: 35449490; PMCID: PMC9022617.
Diese Zusammenhänge zu erkennen, ist nicht nur wissenschaftlich spannend, sondern auch praktisch bedeutsam: Sie könnten den Weg für ganz neue Therapieansätze ebnen – mit dem Ziel, die Krankheitslast zu senken und die Lebensqualität von Betroffenen spürbar und dauerhaft zu verbessern.
MCAS: Begleiter oder Mitverursacher?
In den letzten Jahren mehren sich Hinweise darauf, dass MCAS bei EDS nicht nur eine Begleiterkrankung ist, sondern möglicherweise auch ein mitauslösender Faktor für die Instabilität des Bindegewebes sein könnte. Aber warum ist das so?
Mastzellen sind vor allem im Bindegewebe angesiedelt – also genau dort, wo bei EDS die strukturellen Schwächen auftreten. Werden sie durch innere oder äußere Reize aktiviert, setzen sie eine Vielzahl entzündungsfördernder Substanzen frei. Dieser Vorgang wird als Degranulation bezeichnet.
Zu den Entzündungsmediatoren, die freigesetzt werden, gehören unter anderem:
- Histamin: Führt zu Gefäßerweiterung und erhöhter
Gefäßdurchlässigkeit, was Schwellungen und eine Schwächung des Gewebes begünstigt.
- Proteasen (z. B. Tryptase): Diese Enzyme können Kollagen tatsächlich abbauen und das Bindegewebe weiter schwächen.
- Zytokine und Chemokine: Sie fördern chronische
Entzündungsreaktionen, die den Umbau und die Regeneration des Bindegewebes stören.2
Das bedeutet: Die durch Mastzellen freigesetzten Stoffe verursachen chronische Entzündungen und fördern den Kollagenabbau – und verstärken so die Instabilität des Bindegewebes.
2 González-de-Olano D, Álvarez-Twose I. Mast Cells as Key Players in Allergy and Inflammation. J Investig Allergol Clin Immunol. 2018 Dec;28(6):365-378. doi: 10.18176/jiaci.0327. PMID: 30530385
Theoharides TC, Alysandratos KD, Angelidou A, Delivanis DA, Sismanopoulos N, Zhang B, Asadi S, Vasiadi M, Weng Z, Miniati A, Kalogeromitros D. Mast cells and inflammation. Biochim Biophys Acta. 2012 Jan;1822(1):21-33. doi: 10.1016/j.bbadis.2010.12.014. Epub 2010 Dec 23. PMID: 21185371; PMCID: PMC3318920.
Die Rolle von Mastzellen bei Bindegewebsinstabilität
Menschen mit EDS haben ohnehin eine genetisch bedingte Fehlbildung oder Funktionsstörung von Kollagen. Wenn dann noch degranulierende Mastzellen durch z.B. ihre freigesetzten Proteasen zusätzlich Kollagen abbauen, wird das ohnehin schon geschwächte Bindegewebe noch instabiler und dehnbarer. Ob MCAS die Bindegewebsinstabilität dabei „nur“ verstärkt oder sogar eine kausale Rolle spielt, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt.
Historisch wurde das hypermobile EDS (hEDS) vor allem als genetische Kollagenstörung verstanden – immunologische Aspekte wie MCAS wurden lange Zeit nicht berücksichtigt. Erst in den letzten Jahren wurde MCAS besser erforscht und als ein eigenständiges Syndrom anerkannt. Neuere Studien zeigen sogar, dass genetische Varianten, die mit überaktiven Mastzellen assoziiert sind, bei hEDS-Betroffenen häufiger vorkommen.3 Das würde dafür sprechen, dass dysfunktionale Mastzellen direkt zur Bindegewebsproblematik beitragen könnten.
Therapieansätze: Hoffnung für Betroffene
Die Erkenntnis, dass MCAS mehr als nur eine Begleiterkrankung sein könnte, kann auch als gute Nachricht gelesen werden: Sie eröffnet neue Therapieansätze. Mit einem gezielten Management von MCAS lässt sich mindestens die Gesamtsituation verbessern. Im besten Fall könnten EDS-assoziierte Symptome abgeschwächt und der Gesundheitszustand insgesamt etwas stabilisiert werden.
Mastzellen als „Frühwarnsystem“ für steigende Umweltbelastungen
Mastzellen kommen besonders zahlreich in denjenigen Geweben vor, die als Schnittstellen zur Außenwelt fungieren und mit Umweltreizen in Kontakt kommen:
- In der Haut
- In den Schleimhäuten der Atemwege (besonders in der Lunge)
- Im Verdauungstrakt
- und in den Blutgefäßen
3 Shirvani P, Shirvani A, Holick MF. Decoding the Genetic Basis of Mast Cell Hypersensitivity and Infection Risk in Hypermobile Ehlers-Danlos Syndrome. Curr Issues Mol Biol. 2024 Oct 17;46(10):11613-11629. doi: 10.3390/cimb46100689. PMID: 39451569; PMCID: PMC11506785.
Diese Bereiche sind besonders exponiert gegenüber äußeren Reizen und Mikroben. Moderne Umweltbedingungen, die allergische Reaktionen und Entzündungen fördern, sind unter anderem:
- Virale Infektionen (z. Covid-19, EBV, HPV)
- Pestizide und Chemikalien in Lebensmitteln
- Zusatzstoffe und Konservierungsmittel
- Mikroplastik
- Klimawandel, extreme Wetterbedingungen, UV-Strahlung
- Medikamente wie Antibiotika
- Luftverschmutzung (Feinstaub)
- Chronischer Stress durch den modernen Lebensstil
Zebras und Kanarienvögel – eine andere Perspektive
Vielleicht klingt das für manche übertrieben (und ich selbst hatte zugegebenermaßen auch die gleiche Reaktion, als ich neu damit konfrontiert wurde):
„Was soll das bisschen schon ausmachen und andere überleben das ja auch?“
Aber vielleicht seid ihr – wenn ihr von EDS und MCAS betroffen seid – nicht nur Zebras – sondern auch Kanarienvögel:
Man hat früher in Bergwerken Kanarienvögel in Käfigen mitgenommen, um möglichst früh Giftgase wie Kohlenmonoxid zu erkennen, noch bevor sie für die Menschen gefährlich werden. Da die Vögel wesentlich empfindlicher auf solche Gase reagieren, starben sie schneller, wenn die Luft gefährlich wurde. Das diente als ein Frühwarnsystem für die Bergleute.
Auch Menschen mit MCAS reagieren empfindlicher auf Umweltgifte und zeigen früher Symptome als andere. Ihre Beschwerden können uns als ein Frühwarnsystem dienen, das auch für gesunde Menschen Hinweise liefern kann, welche schädlichen Einflüsse besser gemieden werden sollten.
Gemeinsam für mehr Lebensqualität: Was wir daraus machen können
Es lohnt sich also, MCAS nicht als bloße Begleiterkrankung abzutun, sondern als wichtigen Faktor im Krankheitsgeschehen eines EDS zu betrachten. Das kann nicht nur Betroffenen helfen, sondern auch Angehörigen und Freunden einen Anstoß geben, gemeinsam auf einen gesünderen Lebensstil zu achten – was letztlich allen zugutekommt.
Fazit: MCAS ernst nehmen – für neue Wege in der Behandlung
MCAS kann das Krankheitsgeschehen bei einem EDS maßgeblich beeinflussen und dieser Zusammenhang eröffnet neue Wege für Therapie und Prävention. Wer betroffen ist, sollte sich nicht scheuen, MCAS aktiv zu managen – und vielleicht auch das Umfeld dafür zu sensibilisieren. Ob MCAS die Bindegewebsinstabilität bei einem EDS „nur“ verstärkt oder sogar eine kausale Rolle spielt, ist wissenschaftlich allerdings noch nicht abschließend geklärt.
Weiterführende Literatur:
Afrin LB. Some cases of hypermobile Ehlers-Danlos syndrome may be rooted in mast cell activation syndrome. Am J Med Genet C Semin Med Genet. 2021 Dec;187(4):466-472. doi: 10.1002/ajmg.c.31944. Epub 2021 Oct 31. PMID: 34719842.




Foto von Andrea Piacquadio: https://www.pexels.com/de-de/foto/eine-mutter-die-ihr-kind-kusst-3760279/



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