EDS bei Kindern
EDS bei Kindern
Herausforderungen, Diagnose und Alltagstipps für Familien
Die Ehlers-Danlos-Syndrome (EDS) sind eine Gruppe seltener, genetisch bedingter Bindegewebsstörungen, die in verschiedenen Subtypen auftreten können. Besonders das hypermobile EDS (hEDS) ist im Kindesalter schwer zu diagnostizieren, da genetische Marker fehlen und die Symptome oft erst im Laufe der Entwicklung sichtbar werden. Für betroffene Familien ist es wichtig, die typischen Anzeichen zu kennen und zu wissen, wie sie ihr Kind im Alltag bestmöglich unterstützen können.
Warum ist die Diagnose bei Kindern erschwert?
Die aktuellen Diagnosekriterien für das hypermobile EDS (von 2017) wurden ursprünglich für Erwachsene entwickelt. Kinder unterscheiden sich jedoch in ihrer körperlichen Entwicklung, ihrer Gelenkbeweglichkeit und im Verlauf der Symptome deutlich von Erwachsenen. Deshalb ist es nach dem aktuellen pädiatrischen Rahmenwerk (von 2023) nicht vorgesehen, präpubertäre Kinder mit hEDS zu diagnostizieren. Die endgültige Diagnose wird meist bis zum 18. Lebensjahr aufgeschoben. Dennoch gibt es viele Hinweise, die auf eine Bindegewebsproblematik hindeuten können.
2023 Diagnostischer Rahmen für pädiatrische Gelenkhypermobilität
Diagnostik und genetische Abklärung
Während beim hEDS die Diagnose im Kindesalter zurückgestellt wird, können Kinder mit anderen EDS-Subtypen, für die ein genetischer Marker existiert, bereits frühzeitig eindeutig diagnostiziert werden. Liegt ein entsprechender genetischer Befund vor, kann die Diagnose dieses EDS-Typs unabhängig vom Alter gestellt werden.
Eine ausführliche körperliche Untersuchung, Familienanamnese und gegebenenfalls bildgebende Verfahren sind wichtige Bestandteile der Diagnostik. Oft ist ein interdisziplinäres Team hilfreich.
Worauf sollten Eltern achten?
- Gelenkhypermobilität und „Partytricks“:
Viele betroffene Kinder können ihre Gelenke ungewöhnlich weit bewegen, z. B. Finger oder Ellenbogen überstrecken und zeigen manchmal gerne sogenannte „Partytricks“. Diese Bewegungen sollten jedoch vermieden werden, da sie langfristig zu Schmerzen und Instabilität führen können. Um das Ausmaß der Gelenküberbeweglichkeit zu dokumentieren, kann es sinnvoll sein, die sogenannten „Partytricks“ einmal zu filmen – anschließend sollten Kinder jedoch darauf verzichten, diese Bewegungen regelmäßig vorzuführen, um spätere Schäden zu vermeiden. - Chronische Schmerzen:Anhaltende Schmerzen in Gelenken und Muskeln werden bei Kindern häufig als „Wachstumsschmerzen“ abgetan. Tatsächlich können sie aber den Alltag, die sozialen Kontakte und das Selbstbewusstsein erheblich beeinträchtigen. Eine frühzeitige und ernsthafte Schmerzbehandlung ist daher entscheidend, um eine Chronifizierung und psychische Belastungen zu verhindern.
- Verzögerte motorische Entwicklung:Manche Kinder lernen später krabbeln, laufen oder stehen. Ursache können Gelenkinstabilität oder Muskelschwäche sein. Eine sorgfältige kinderärztliche Abklärung ist hier wichtig, um andere Ursachen auszuschließen. Gezielte physiotherapeutische und ergotherapeutische Förderung kann betroffenen Kindern helfen, ihre motorischen Fähigkeiten zu verbessern und Entwicklungsverzögerungen aufzuholen.
- Systemische Symptome:
Neben den typischen Gelenkproblemen können auch autonome Funktionsstörungen (z.B. Kreislaufprobleme, Schwindel), Magen-Darm-Beschwerden und starke Müdigkeit auftreten. Gerade die unspezifischen systemischen Beschwerden werden oft übersehen, obwohl sie die Lebensqualität der Kinder erheblich einschränken können.
Weitere typische Symptome
- Dehnbare, weiche oder samtige Haut, die leicht blaue Flecken bekommt
- Schlechte Wundheilung mit auffälligen, breiten Narben
- Große Wunden nach Bagatellverletzungen
- Häufiges Nasenbluten
- Zahnprobleme, hoher oder schmaler Gaumen
- Schwierigkeiten bei Ausdauerleistungen, Feinmotorik (z. B. Schreiben, Schuhe binden)
- Häufiges Stolpern, Stürze, Koordinationsprobleme
- Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung)
- Familiäre Vorbelastung mit EDS oder anderen Bindegewebserkrankungen
- Plötzliche Todesfälle unter 40 Jahren in der Familie oder ungeklärte Organrupturen können Hinweise auf seltenere, aber schwerwiegende EDS-Subtypen geben
Alltagstipps: So unterstützen Sie Ihr Kind optimal
- Sichere Umgebung schaffen
Entfernen Sie Stolperfallen wie lose Teppiche oder Kabel. Handläufe an Treppen und im Bad bieten zusätzliche Sicherheit. - Ergonomische Anpassungen
Verstellbare Stühle, Fußstützen oder ergonomische Schreibtische fördern eine stabile und schmerzfreie Sitzhaltung. - Aktivitäten individuell gestalten
Passen Sie den Alltag an das Energie- und Schmerzlevel Ihres Kindes an. Erlauben Sie Pausen, ohne Schuldgefühle zu vermitteln. Fördern Sie gelenkschonende Bewegungsformen wie Schwimmen – und ermöglichen Sie gleichzeitig eine möglichst normale Teilhabe. - Emotionale Begleitung
Offene Kommunikation ist entscheidend. Nehmen Sie die Gefühle Ihres Kindes ernst und fördern Sie Unabhängigkeit und Problemlösefähigkeiten. Gleichzeitig sollten Sie bei Bedarf Unterstützung anbieten. - Vielfältige Identität und Selbstbild fördern
Ermutigen Sie Ihr Kind, Hobbys und Interessen außerhalb der Diagnose zu entwickeln. Ein vielfältiges Selbstbild fördert Resilienz und Selbstvertrauen. - Teilhabe und Integration fördern
Behandeln Sie Ihr Kind altersentsprechend und fördern Sie die Teilnahme am Familien- und Sozialleben. Beziehen Sie ihr Kind in Entscheidungen ein und unterstützen Sie die Kommunikation mit Behandelnden sowie die Entwicklung von Selbstvertretung. - Vernetzung und Austausch:
Suchen Sie Kontakt zu Selbsthilfegruppen und achten Sie auf lösungsorientierte Angebote. Der Austausch mit anderen betroffenen Familien kann sowohl praktisch als auch emotional entlasten. - Gesundheit verantwortungsvoll begleiten
Kinder sollten keine Medikamente oder Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, wenn diese nicht zwingend medizinisch notwendig sind. Meiden Sie risikoreiche Sportarten (wie Kampfsport) mit starker Belastung oder Sturzgefahr. Grundsätzlich sollten Aktivitäten – in einem Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Teilhabe aber nicht gestrichen, sondern individuell angepasst werden. - Selbstständigkeit und Mitbestimmung fördern
Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, eigene Bedürfnisse zu äußern und – altersgerecht – auch selbstständig mit medizinischem Fachpersonal zu sprechen. Gemeinsame Entscheidungen und kleine Aufgaben stärken die Eigenverantwortung. - Regelmäßige Überprüfung und Anpassung
Überprüfen Sie regelmäßig, ob Hilfsmittel, Möbel oder Abläufe noch zum Entwicklungsstand Ihres Kindes passen. Reagieren Sie flexibel auf Veränderungen im Energielevel, in der Beweglichkeit oder im emotionalen Befinden. Beziehen Sie Ihr Kind aktiv in Veränderungen ein, damit es sich ernst genommen und beteiligt fühlt.
Fazit
Die Unterstützung eines Kindes mit EDS erfordert Einfühlungsvermögen, Wissen und ein gutes Netzwerk. Mit der richtigen Mischung aus praktischen Anpassungen, emotionaler Begleitung und Förderung der Selbstständigkeit kann Ihr Kind mit EDS ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben führen. Zögern Sie nicht, bei Unsicherheiten professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – und denken Sie daran: Sie sind nicht allein!
Sie haben Fragen oder möchten sich austauschen? Unsere Selbsthilfegruppe freut sich über Ihre Kontaktaufnahme!
Quellen:
Misunderstood and Overlooked: hEDS, FND & Autism | Office Hours (Ep 150)“, The Bendy Bodies Podcast with the Hypermobility MD Dr. Linda Bluestein, 19.06.2025. [https://www.youtube.com/watch?v=xj5mZ3StMs0]
Foto von Andrea Piacquadio: https://www.pexels.com/de-de/foto/eine-mutter-die-ihr-kind-kusst-3760279/