Chronisch krank – wie Sprache Betroffene stärken oder schwächen kann
Chronisch krank – wie Sprache Betroffene stärken oder schwächen kann
Sichtbar oder unsichtbar – chronische Erkrankungen gehören zum Alltag von Millionen Menschen. Doch während der medizinische Bereich oft im Vordergrund steht, bleibt eine andere Ebene häufig unbeachtet: die Sprache.
Worte sind mehr als nur Mittel zur Kommunikation. Sie können trösten, anerkennen und stärken – oder verletzen, verharmlosen und isolieren. Viele Betroffene werden nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit dem Unverständnis ihres Umfelds konfrontiert. Manche Aussagen mögen gut gemeint sein, doch sie bewirken oft das Gegenteil.
Dieser Artikel zeigt, welche Formulierungen im Kontakt mit chronisch kranken Menschen problematisch sein können, warum sie so wirken und wie man stattdessen Worte finden kann, die Verständnis und Unterstützung ausdrücken.
1. „Jeder hat mal Schmerzen / ist müde / hat schlechte Tage.”
Verharmlost den Unterschied zwischen normalen Beschwerden, die jeder Mensch mal hat, und chronischem Leiden, was häufig das Leben der Betroffenen komplett verändert.
Besser: „Danke, dass du mir Einblick gibst in etwas, das ich selbst nicht nachempfinden kann.“
2. „Du warst doch gestern noch unterwegs. So schlecht kann’s dir ja nicht gehen.“
Verkennt das „Boom & Bust“-Muster vieler chronischer Erkrankungen. Gute Tage bedeuten nicht, dass man direkt geheilt ist.
Besser: „Ich weiß, dass du dir deine Kräfte gut einteilen musst. Brauchst du heute eher Ruhe oder hast du genug Energie, um etwas zu unternehmen?“
3. „Man muss halt das Beste draus machen.“
Ein wohlmeinender Durchhalte-Satz, der aber schnell toxisch-positiv wirken kann, wenn er Druck ausübt, „funktionieren“ zu müssen.
Besser: „Ich sehe, wie du dich durchkämpfst. Es ist okay, frustriert zu sein. Du darfst dich so fühlen, wie du dich fühlst.“
4. „Du darfst dich da nicht so reinsteigern.“
Unterstellt, dass man selbst schuld an der eigenen Wahrnehmung oder Belastung ist. Das kann sehr verletzend sein. Es ist in Ordnung und verständlich, auch mal überfordert und ängstlich zu sein.
Besser: „Das klingt wirklich belastend. Danke, dass du das mit mir teilst. Kann ich irgendetwas für dich tun?“
5. „Ich wünschte, ich könnte den ganzen Tag im Bett bleiben / nicht arbeiten / krankgeschrieben sein.“
Klingt wie ein Witz, trifft aber oft genau den wunden Punkt, denn das „Nichtkönnen“ ist nicht freiwillig, sondern belastend.
Besser: „Ich sehe, wie viel du durchmachst. Ich hoffe, du bekommst die Pausen, die du brauchst.“
6. „Das bildest du dir sicher nur ein. / Das ist psychosomatisch.“
Kann extrem verletzend sein. Viele seltene oder chronische Erkrankungen sind medizinisch schwer greifbar, aber deshalb nicht weniger real bzw. haben nicht direkt eine psychische Ursache.
Besser: „Ich glaube dir. Es muss frustrierend sein, ständig erklären zu müssen, was du erlebst und fühlst.“
7. „Wenn du dich mehr bewegen würdest, ginge es dir besser.”
Diese Aussage ist übergriffig, weil sie voraussetzt, dass Bewegung immer und für jede Person hilfreich ist. Dabei wird ignoriert, dass Betroffene oft ihre eigenen Grenzen genau kennen und Erschöpfung nichts mit „zu wenig Bewegung“ zu tun hat. Bei manchen Erkrankungen ist Bewegung kontraindiziert oder gar unmöglich.
Besser: „Was hilft dir an guten Tagen, um mit deinem Körper in Balance zu bleiben?“ Oder: „Höre auf deinen Körper. Du kennst ihn am besten!“
8. „Du siehst aber gut aus!“
Ungewollt kann das wie: „Du siehst gut aus, also kann es dir nicht schlecht gehen“ wirken. Viele Betroffene haben gelernt, trotz Schmerzen „normal“ zu wirken.
Besser: „Es freut mich, dich zu sehen. Wie geht es dir heute wirklich?“
9. „Du bist doch viel zu jung, um so krank zu sein.“
Klingt vielleicht wie Mitgefühl, kann aber entmutigend wirken, als wäre die eigene Realität unpassend oder unglaubwürdig.
Besser: „Ich finde es beeindruckend, wie du mit all dem umgehst. Möchtest du erzählen, wie es dir wirklich geht?“
10. „Du musst positiver denken.“
Klingt wie ein Ratschlag, wirkt aber oft wie Victim-Blaming oder ein Absprechen der Realität. Es vermittelt den Eindruck, als könne man ein komplexes, chronisches Krankheitsbild mit etwas Optimismus einfach „wegdenken“. Es ist in Ordnung, auch frustriert über die eigene Situation zu sein.
Besser: „Ich weiß, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Ich bin für dich da.“
11. „Du siehst gar nicht krank aus.“
Klingt wie ein Kompliment, kann aber entwertend wirken, so als ob sichtbare Symptome nötig wären, um ernst genommen zu werden. Außerdem: Wie sieht denn jemand aus, der chronisch krank ist? Jede Person ist individuell.
Besser: „Ich weiß, man sieht dir das nicht an. Danke, dass du mir davon erzählst, damit ich es mir besser vorstellen kann.“
12. „Hast du es schon mal mit XY probiert?“ (Diäten, Yoga, etc.)
Gut gemeint, aber oft übergriffig oder ungebeten. Betroffene haben meist schon unzählige Optionen probiert.
Besser: „Wenn du möchtest, höre ich dir einfach zu. Sag Bescheid, wenn du über Vorschläge oder mögliche Wege sprechen willst.“
Fazit
Sprache allein heilt keine Krankheit, aber sie prägt entscheidend, wie Betroffene ihre Erkrankung im sozialen Umfeld erleben. Einfühlsame Worte können Brücken bauen, Zugehörigkeit vermitteln und Resilienz stärken. Unüberlegte Aussagen hingegen können zusätzlich belasten und das Gefühl von Einsamkeit verstärken.
Wer bewusst zuhört, nachfragt und respektvoll formuliert, zeigt nicht nur Mitgefühl, sondern macht deutlich: Du bist nicht allein, und dein Erleben ist real. Am Ende geht es weniger darum, die „perfekten“ Worte zu finden, sondern vielmehr um die Bereitschaft, die Lebensrealität chronisch kranker Menschen wahrzunehmen und zu verstehen.

